Das St. Luke’s Mission Hospital in Mpanshya ist ein Landspital
mit ca. 100 Betten, welches eine ziemlich breite Versorgung bietet mit einem
Ambulatorium, einem Gebärsaal und einer pädiatrischen, medizinischen,
chirurgischen und gynäkologischen Abteilung.
Das Spital hat einen Operationssaal, ein Labor, ein
Röntgengerät und sogar ein Ultraschallgerät für die Gynäkologie und
Geburtshilfe.
Das klingt eigentlich gar nicht schlecht, doch es gibt ein paar
grosse ABER. Zum einen bereiten die Strom- und Wasserversorgung grosse Probleme.
Da es in Mpanshya keinen Stromanschluss gibt, muss für das Röntgengerät und den
Operationssaal jeweils ein Generator angeworfen werden, sodass Röntgen jeweils nur
am Morgen durchgeführt werden können und selten notfallmässig am Nachmittag
oder am Wochenende. Zudem war das Röntgengerät wegen einem Defekt in den
letzten 4 Monaten ausser Betrieb. Und es ist nicht ungewöhnlich, dass der Strom
während den Operationen ausfällt und man so ohne Licht und ohne Anästhesieturm
bei einer Raumtemperatur von 35°C weiteroperieren muss. Da in der Trockenzeit
das Wasser knapp wird, gab es in den letzten Wochen auch kein fliessend Wasser
im Spital. Und weil es auch kein Handdesinfektionsmittel gibt, erübrigt sich gezwungenermassen
die Händehygiene zwischen den Patientenkontakten (Hygienevorschriften in der
Schweiz schreiben Händedesinfektion nach jedem Patientenkontakt vor).
Labor |
Röntgengerät |
Operationssaal |
Typisch sambisch: erfinderisch muss an sein, um Dinge am Laufen zu behalten |
Das Labor ist nur wenige Stunden pro Tag an Werktagen geöffnet,
sodass keine notfallmässigen Laboranalysen möglich sind. Bestimmt werden kann
ein Blutbild (kein Differentialblutbild), zwei Leberwerte und einen Nierenwert,
doch keine Elektrolyte, keine Blutgerinnung und kein Entzündungswert. Am
Mikroskop können Blutausstriche auf Malaria und Trypanosoma (durch die Tsetsefliege
übertragener Erreger der afrikanischen Schlafkrankheit) überprüft werden und es
gibt die Möglichkeit eines Syphilis- und HIV-Test inklusiv CD4-Count.
Mit eines der grössten Probleme des Spitals ist die
Versorgung mit Material und Medikamenten. Da das Spital ein Missionsspital ist
und von katholischen Nonnen geleitet wird, kommt ein Teil des Geldes zur
Finanzierung aus einem kirchlichen Fonds, andererseits bezahlt der Staat die
Löhne und liefert die Medikamente. Doch da der Staat pleite ist, werden seit
Monaten immer weniger Medikamente geliefert, sodass viele Medikamente die ganze
Zeit „out-of-stock“ sind. Zur
Schmerzbehandlung gibt es eigentlich Paracetamol und Ibuprofen, aber da Ibuprofen
seit Wochen nicht verfügbar ist, werden Patienten nach Operationen, Patienten
mit Knochenbrüchen oder Tumorleiden nur mit Paracetamol behandelt! Vereinzelt
wird Pethidin gebraucht, ein altes Opiat, das in der Schweiz schon lange nicht
mehr zur Schmerzbehandlung eingesetzt wird.
Wenn man z.B. einem Patienten mit Verstopfung ein
Abführmittel verschreibt, sieht man erst bei der nächsten Visite den Vermerk
„O/S“ (out of stock) auf dem Medikationsblatt. Und der Patient wurde somit
einfach nicht behandelt. Während man mit dem Schmerzmittelengpass noch
einigermassen umgehen kann, wird es immer kritischer, wenn wie in der letzten
Woche nicht einmal die Antimalariamittel und ein Teil der Tuberkulosemittel
geliefert wurde. Und wenn keine Laborröhrchen geliefert werden, kann man auch
kein Labor machen!
Apotheke |
Ein weiteres grosses Problem sind die fehlenden Ärzte,
eigentlich sind fünf Ärzte im Spital angestellt und diese fünf werden auch
bezahlt, obwohl nur einer wirklich hier arbeitet. Die anderen vier sind bisher nicht
einmal aufgetaucht, sondern machen irgendwo ihre Facharztausbildung, finanziert
durch den Lohn von der Anstellung im Mpansyha-Spital!
Stationszimmer |
Hauptgesundheitsprobleme in Sambia sind einerseits
Infektionskrankheiten wie Malaria, Durchfallerkrankungen (die v.a. bei Kinder
wegen starkem Wasser- und Salzverlust tödlich sein können), HIV (15% der
Bevölkerung sind infiziert) und Tuberkulose und den durch Viren ausgelösten
Gebärmutterhalskrebs. Andererseits Mangelernährung mit folglich geschwächter
Immunabwehr und durch Zunahme des westlichen Lebensstils im urbanen Raum zeigt
sich ein rasanter Anstieg an Zuckerkrankheit, Adipositas, Herzinfarkten und
Hirnschlägen.
Ein weiteres Problem ist die hohe perinatale Mutter- und
Kindersterblichkeit, denn viele Frauen haben keinen Zugang zu Verhütungsmittel
und gebären Zuhause, da die Spitäler oft zu weit weg sind und zu Fuss bei
einsetzenden Wehen nicht mehr erreicht werden können (Fruchtbarkeitsziffer 5.5
Kinder pro Frau). Auch bei Verkehrs- oder Arbeitsunfällen sind die Distanzen zu
den Spitälern oft zu gross und einen gut ausgerüsteten Rettungsdienst gibt es
nicht.
Die Lebenserwartung lag 1990 noch bei 60 Jahren, sank bis
2004 auf 40 Jahre wegen einer hohen AIDS-Sterblichkeit und stieg aufgrund
grossflächiger Verteilung von HIV-Medikamenten wieder auf knapp über 50 Jahre
(2015). Fast 50% der Bevölkerung ist unter 15 Jahre alt.
Zwei Patienten mit HIV |
Eric mit seiner Tochter, er leider an einem Kaposi-Sarkom bei therapieresistenter HIV. |
Um die Schwierigkeiten der sambischen Gesundheitsversorgung
besser darzustellen, folgen einige Beschreibungen von Patienten, die ich
gesehen habe (Namen geändert).
Lucas (16 Jahre):
Lucas leidet unter einer Epilepsie und ist eigentlich unter
einer Dauertherapie mit einem Antiepileptikum anfallsfrei. Doch weil in der
Klinik sein Medikament „out of stock“ war, erlitt Lucas während dem
Therapieunterbruch einen epileptischen Anfall und fiel dabei ins Feuer und
verbrannte sich beide Füsse. Aufgrund schwerer Verbrennungen haben wir im
Spital eine Hauttransplantation mit Spalthaut vom Oberschenkel durchgeführt. Lucas
und seine Mutter sind seit 2 Monaten im Spital, weil eine intensive Wundpflege
und sorgfältige Infektkontrolle nötig ist. Weder Lucas noch seine Mutter können
in dieser Zeit arbeiten oder zur Schule gehen.
Der Verbandswechsel war immer eine grosse Herausforderung,
denn Verbandsmaterial ist knapp und es fehlt ein gut eingerichteter
Verbandsraum, jegliches Material musste man sich vorher zusammensuchen. Nicht
einmal Scheren standen zur Verfügung! Weil die Wundreinigung immer so
schmerzhaft war, musste sie jeweils unter Ketamin erfolgen (einem starken
Beruhigungs- und Schmerzmittel), welches ohne jegliches Monitoring und ohne
bereitliegende Notfallausrüstung intravenös verabreicht wurde.
David (22 Jahre):
Er kam wegen eines chronischen Hustens und starker
Gewichtsabnahme ins Spital. Bei ihm wurde Lungentuberkulose und eine bisher
unbekannte HIV-Infektion diagnostiziert. Sein CD4-Count betrug 2 Zellen/mm3! (CD4-Count
ist die Anzahl an bestimmten Immunzellen, welche durch das HI-Virus befallen
werden und welche die ganze Immunabwehr koordinieren. Normal wären mehrere
Hundert, behandelt werden in Sambia HIV-Patienten ab CD4-Count unter 500, unter
200 gilt als tiefer Wert).
David war in der medizinischen Abteilung der Männer
untergebracht, einem Zimmer mit zehn Betten. Dort waren drei Männer mit Tuberkulose
gemischt mit Nicht-Tuberkulose-Patienten untergebracht. In der Schweiz müssen Tuberkulosepatienten
isoliert werden und das Personal darf nur mit speziellen Tuberkulosemasken den
Raum betreten.
Christopher (32 Jahre):
Ein neudiagnostizierter HIV-Patient kam an einem
Freitagnachmittag ins Spital und mir rutschte ein unschönes „Scheisse“ raus,
als ich seinen Nierenwert auf dem Laborblatt sah (Kreatinin 440 mcmol/l bei
einem abgemagerten Mann mit Körpergewicht von 40kg). Elektrolyte, Harnstoff und
pH-Wert des Blutes konnten im Labor ja nicht bestimmt werden und der Patient
hätte sofort ins Unispital nach Lusaka verlegt werden müssen um ein
Nierenversagen zu behandeln. Doch weil am Wochenende im Unispital normalerweise
keine neuen Patienten behandelt werden und der Patient in einem sehr guten
Allgemeinzustand war, wurde beschlossen, ihn erst am Montag zu verlegen. Am
Samstagmorgen war er jedoch nicht mehr ansprechbar und hatte eine Atemfrequenz
von 38 pro Minute (normal 12-20). In diesem Zustand war er nicht transportfähig
und er verstarb am Sonntag.
Innerhalb 2 Wochen sind drei andere Männer (alle etwa 30
Jahre alt) mit HIV und Tuberkulose gestorben, zwei hatten ein sogenanntes Immune
Reconstitution Inflammatory Syndrome (IRIS) nach Beginn der HIV-Therapie.
(Erklärung: Wenn die Immunzellen CD4 zu tief sind, ist das Immunsystem so
schwach, dass es auf Krankheitserreger gar nicht mehr reagieren kann. Steigen
dann die CD4-Zellen unter HIV-Therapie wieder an, kommt es zu einer starken
Entzündungsantwort als Reaktion auf vorhandene Krankheitserreger, was zu einem
Organversagen führen kann. Deshalb muss vor Beginn einer HIV-Therapie der
CD4-Count kontrolliert werden und bei tiefem Wert zuerst mögliche Infektionen
behandelt werden.) Alle diese vier Patienten hatten Atemprobleme und hätten auf
einer Intensivstation betreut werden müssen. Doch in Mpansyha gibt es keine
Intensivstation und eine Verlegung nach Lusaka ins Unispital war nicht möglich,
weil die Patienten alle sauerstoffpflichtig waren und es keine
transportierbaren Sauerstoffbehälter im Spital gibt!
Die sogenannte "Intensivstation" des Spitals, ein Zimmer mit Sauerstoffbombe in Nähe des Stationzimmers |
George (1.5 Jahre):
Dieser Junge wurde wegen einer unkomplizierten Malaria im
Spital behandelt, doch der Allgemeinzustand besserte sich trotz Fieberfreiheit
nach Therapie nicht. Es zeigte sich eine zunehmende Blutarmut (innerhalb einer
Woche sank der Hb-Wert von 6.9 auf 3.6 g/dl) und weil das Spital keine
Blutreserven hatte, wollten wir das Kind nach Lusaka verlegen. Aber nicht
einmal das Unispital hatte Blutkonserven! In Sambia ist die Versorgung mit
Blutkonserven ein grosses Problem! Postoperativ oder nach Verkehrsunfällen
versterben viele Leute, weil keine Blutkonserven vorhanden sind. Als zwei Tage
später Blutkonserven in Lusaka vorhanden waren, wollte die Mutter nicht dorthin
gehen. Einige fürchten sich davor nach Lusaka zu gehen, wenn sie z.B. noch nie
dort gewesen sind oder haben kein Geld für die Rückkehr und haben Angst dann in Lusaka festzusitzen. In
Lusaka muss man normalerweise für Gesundheitsversorgung zahlen, was viele nicht
können.
Austin (10 Jahre):
Bei diesem Jungen wurde im Juli dieses Jahres ein
Knochenkrebs festgestellt. Die Familie kam aber erst im Oktober wieder ins
Spital, weil sie zuerst einen afrikanischen Heiler aufsuchten. Die geplante
Beinamputation konnte im Oktober aufgrund einer Blutarmut und einem Mangel an
Blutplättchen (sind für die Gerinnung zuständig) nicht durchgeführt werden. Beim
Warten ist nun die Grösse des Tumors innerhalb
der letzten zwei Monate aufs Dreifache angestiegen.
Austin mit Maggie, eine polnische Krankenschwester, die seit 12 Jahren im Spital ein Hospiz mit Palliativmedizin leitet |
Austins Zimmer, er and Maggie haben begonnen, seine Wand mit Bilder zu dekorieren |
Austin mit seiner Familie, sein grösster Wunsch wäre es, wieder gehen zu können |
(Namenslos)
Dieses Neugeborene ist der zweite Zwilling einer
Termingeburt, Geburtsgewicht 2.5kg, welches unter der Geburt eine Asphyxie
erlitt und reanimiert werden musste. Die folgende Intensivüberwachung bestand
aus einer wärmenden Decke (die Wärmelampe funktioniert nicht) und intravenöser
Flüssigkeit. Beim Versuch eines Legens einer Magensonde zur Ernährung kam es
wahrscheinlich zur Aspiration (Mageninhalt gelang in die Lunge, eine
Absaugpumpe war nicht bereit) und das Neugeborene entwickelte starke
Atemprobleme. Trotz schwerer, unregelmässiger Atmung lebte der Junge noch 2
Tage. Eine Verlegung nach Lusaka war aufgrund fehlender Transportmöglichkeit
von Sauerstoff nicht möglich. Die Mutter hatte das Kind nicht einmal auf dem
Arm. Totgeburten sind hier häufig, sodass den gebärenden Frauen gesagt wird,
sie sollen nicht darüber weinen, sonst wird das nächste auch sterben. Die
Mutter hat geweint.
Mutembo (57 Jahre):
Mutembo hatte vor über einem Jahr einen schweren
Motorradunfall und in einer anderen Klinik wurde sein völlig zertrümmertes Knie
einfach eingegipst in der Hoffnung, es würde irgendwie zusammenwachsen.
Aufgrund der Deformitäten und der Schmerzen konnte Mutembo aber nach
Gipsentfernung das Bein nicht mehr belasten und konnte nur noch an Krücken
gehen. Der Schweizer Chirurg hat nun eine operative Gelenksversteifung
durchgeführt, damit Mutembo wenigstens wieder mit steifem Knie ohne Krücken
gehen kann. Mutembo hat monatelang auf diese Operation gewartet.
Die Operation |
Gift (9 Monate):
Gift kam vor 9 Monaten mit einem Hydrocephalus auf die Welt
(Hydrocephalus: Erweiterung der Hirnwasserräume). Die Mutter wurde nach Lusaka
geschickt, um einen Shunt (Ableitung für das gestaute Hirnwasser) zu legen. Aus
finanziellen Gründen gingen sie aber nicht und kamen im erst November nach 9 Monaten
wieder.
Der erhöhte Druck hat zu einem grotesken Schädelwachstum und
zu einer erheblichen irreversiblen Hirnschädigung geführt.
Esther (12 Monate):
Esther wurde von der Mutter ins Spital gebracht, weil das
Mädchen nicht aufhörte zu weinen und nicht mehr sitzen konnte. Es fiel sofort
eine überstreckte Kopfhaltung des Kindes auf. Bei jeder Bewegung fing es an zu
weinen. In der Anamnese fanden wir heraus, dass das Kind in einem Health Post
mit Quinine gegen Malaria behandelt wurde. In der Untersuchung fiel auf, dass
das Mädchen keine Gegenstände wahrzunehmen schien und auf einem Ohr nichts zu
hören schien. Das Mädchen hatte eine schwere Hirnschädigung erlitten. Unklar
wird die Ursache dafür bleiben, möglich sind cerebrale Malaria, Nebenwirkung
der Malariabehandlung mit Quinine oder eine Hirnhautentzündung.
Das sind einige Patienten, die ich in Mpansyha gesehen habe.
Viele andere werden erfolgreich behandelt und das Spital geniesst einen sehr guten
Ruf, v.a. wegen einem deutschen Gynäkologen und ehrenamtlich arbeitenden
Schweizer Chirurgen. Für viele ist es eine Anlaufstelle, wenn ihnen in anderen
Spitälern nicht geholfen wird und Patienten reisen dafür sogar aus Lusaka oder
dem Norden des Landes an! Und doch bin ich schockiert, wie wenig ein
Menschenleben hier zählt. Man hat keine Sicherheiten. Man darf einfach nicht
krank werden, weil man nie weiss, ob man Hilfe bekommt. Wenn man zum falschen
Zeitpunkt ins Spital kommt gibt es keinen Strom, kein Blut oder keinen
Arzt.