In Sambia herrscht ein riesiger Unterschied zwischen Stadt
und Land. Während in Lusaka praktisch alles erhältlich ist und es Freizeitangebote
gibt wie Kino, Schwimmbad und diverse Sportangebote, ist das Leben auf dem Land
relativ ruhig und einfach. Es gibt geteerte Landeshauptstrassen, doch die
meisten Strassen sind sogenannte „dirt roads“, also Feldwege, die ohne Geländefahrzeug
unpassierbar sind und auf denen man nicht viel schneller als 40 km/h fahren
kann. Da die meisten Leute auf dem Land nicht Auto fahren können und geschweige
denn ein Auto vermögen, sind die meisten auf Minibusse angewiesen, die
unregelmässig (und selbstverständlich immer überladen) auf den
Landeshauptstrassen verkehren. Mpanshya ist nur 200 km östlich der Hauptstadt gelegen
und gehört noch zur Provinz Lusaka, doch schon von hier ist die Reise nach
Lusaka eine Herausforderung. Die Fahrt nach Lusaka dauert mit dem Privatauto
mindestens 2.5 Stunden, mit dem Bus mindestens 4 Stunden.
Kleines Mädchen mit einem etwas zu grossen Velo |
Und wie ist es erst dann, wenn man 1000 km entfernt ist? Und
da die Menschen in zerstreut liegenden Hütten wohnen, haben sie oft weite
Fusswege zu gehen bis sie überhaupt an eine geteerte Strasse kommen. Die
Haushälterin unserer Zimmernachbarn wohnt 6 km entfernt und kommt jeden Tag zu
Fuss zur Arbeit. Am Morgen und am Abend sieht man sehr viele Leute die Strassen
entlang zur Arbeit gehen, gerade in Lusaka bietet sich ein eindrückliches Bild
von hunderten von Menschen zu Fuss auf der Strasse.
4 Jungs auf dem Weg zur Schule |
Wenn man aufs Land fährt, sieht man viele Bäume,
Buschlandschaft und ab und zu kleine Hütten und Verkaufsstände und sonst
nichts, und zwar wirklich nichts. Also keine Industrie, keine Dienstleistungsstellen
und somit keine Arbeitsstellen! Deshalb ist auch der grösste Teil der Menschen auf
dem Land arbeitslos und pflanzt in der Regensaison (Dezember bis April) Mais zur
Selbstversorgung an. Frauen verkaufen tagsüber Tomaten und Zwiebeln auf dem Markt
oder Mangos an der Strasse. Beliebt sind Anstellungen als Haushälterin oder Gärtner
bei Musungus (weissen Leuten), da sie ein sicheres Einkommen und meist gute
Arbeitsbedingungen garantieren.
Und leider hat in den letzten Jahren die Qualität des
Bildungssystems abgenommen. Die Landessprache wäre Englisch, weil es in Sambia
dutzende verschiedene lokale Sprachen gibt. Doch auf dem Land sprechen die
meisten nur eine Lokalsprache. Kaum jemand schliesst die Schule ab und viele
sind Analphabeten. Probleme in der Schule sind riesige Klassen (gut mal 80
Schüler), abwesende Lehrer, die trotzdem bezahlt werden (sogenannte Ghostteachers),
zu weite Entfernung zur Schule oder Mädchen, die während ihrer Monatsblutung
ohne Hygienebinden nicht zur Schule können. Wer etwas Geld verdient und Wert
auf Bildung legt, versucht seine Kinder in die Privatschule zu schicken. In der
Schule wird allgemein vieles auswendig gelernt, ohne dass die Kinder verstehen,
um was geht. Eine Angestellte der deutschen Entwicklungshilfe hat uns über ihre
Schulevaluationen berichtet. Z.B. konnten die Kinder bekannte Wörter wie „cat“ erkennen,
aber Phantasiewörter konnten sie nicht lesen! Auch Rechnen ist ein grosses Problem. Die
Kinder lernen zwar die Zahlenreihen auswendig, haben aber keine Vorstellung vom
Zahlenraum. Z.B. mussten in der vorher erwähnten Schulevaluation Zahlenfolgen
ergänzt werden. Folgen wie 3-6-9-… konnten viele problemlos mit 12 richtig
beantworten, doch eine Folge wie 4-7-10-… ging nicht mehr. Leider haben sie oft
kein Verständnis für Zahlen, das Zehnersystem und somit auch nicht für
Dimensionen. Ist nun etwas 10- oder 100-fach grösser?
Lesen und Schreiben können auf dem Land nur wenige |
Wir unterrichten jede Woche ein paar Frauen in Englisch und
Rechnen. Und wir konnten es fast nicht glauben, aber erwachsene Frauen sassen
ratlos vor „einfachen“ Rechnungen wie 13-12 oder 16-6!
Dass ihre geratenen Antworten wie 18 unmöglich waren, weil
die Lösung ja kleiner sein musste als der Ausgangswert bemerkten sie nicht! Was
natürlich den Umgang mit Geld im Alltag und die Vorstellung von Ersparnissen,
Ausgaben und Schulden sehr erschwert! Wir wollten einmal 3 Flaschen Wasser
kaufen für je 5 Kwacha. Das Rückgeld auf eine 20-Kwacha-Note war mehr als 10
Kwacha und beim erneuten Hinstrecken des Geldes war der Verkäufer total
verwirrt!
Ganz einfache Kinderbüchlein sind oft schon zu komplizierter Lesestoff |
Das traurige ist, dass Mangelernährung in der Kindheit eine
grosse Auswirkung auf die Hirnentwicklung und -reifung hat und so viele hier
wahrscheinlich nie ihre mögliche „Intelligenz“ erreichen.
In der Schule werden die Kinder auch nicht ermutigt, Fragen
zu stellen oder zu melden, dass sie nicht verstanden hätten. Und von Beibringen
von kritischem Denken oder Selbstreflektion kann man nur träumen.
Sambier sind sehr friedliche und angepasste Menschen. Das
mag zwar als Tourist sehr angenehm sein, bereitet aber auch grosse Probleme. Die
Familien- und Gruppenzugehörigkeit (in Sambia gibt es verschiedene Stämme) ist
sehr wichtig, man lebt in Grossfamilien oft auf engem Raum. Und
Identitätsstiftend ist nicht das Ich, sondern die Familienzugehörigkeit.
Hierarchie ist sehr wichtig und es ist nicht angebracht, einen Vorgesetzten zu
kritisieren oder zu hinterfragen! Das führt dazu, dass Missstände z.B. in einer
Verwaltung, an der Arbeitsstelle und in der Politik oft stillschweigend
hingenommen werden. Es zählt der Rang einer Person und nicht mehr dessen
Leistung. Dass in einem solchen System der Fortschritt extrem erschwert ist und
ein Boden für Korruption geboten wird, ist für uns natürlich logisch. Als
föderalistisch denkende, konstruktive Kritik liebende Schweizer fehlt uns da
das Verständnis dafür.
Sambia ist zwar eine Demokratie, doch die Idee des
aufgeklärten, mündigen Bürgers wagen wir hier in Frage zu stellen. Wie sollen
denn die Menschen zu aufgeklärten
Bürgern werden? Sie haben auf dem Land keine Zeitung, kein Internet, sie können
ja nicht mal lesen und es fehlt unserer Meinung nach das nötige kritische,
hinterfragende Denksystem. Und da die Leute sich über ihre Gruppenangehörigkeit
identifizieren, wird meistens der Kandidat aus dem eigenen Stamm gewählt. Da
man der Familie gegenüber auch stark verpflichtet ist, wird von Politikern
erwartet, dass sie ihre Ursprungsregionen und Familien begünstigen, sonst
verliert der Politiker seine Basis und Berechtigung überhaupt an dieser Stelle
zu sein. Das was bei uns so negativ Vetternwirtschaft genannt wird, ist hier
nicht ungewohnt.
Dieses Bild hängt in jedem Kaufhaus, in jeder Kirche und in jedem grösseren Gebäude |