Sonntag, 6. Dezember 2015

Das Leben in Sambia - Teil 2


In Sambia herrscht ein riesiger Unterschied zwischen Stadt und Land. Während in Lusaka praktisch alles erhältlich ist und es Freizeitangebote gibt wie Kino, Schwimmbad und diverse Sportangebote, ist das Leben auf dem Land relativ ruhig und einfach. Es gibt geteerte Landeshauptstrassen, doch die meisten Strassen sind sogenannte „dirt roads“, also Feldwege, die ohne Geländefahrzeug unpassierbar sind und auf denen man nicht viel schneller als 40 km/h fahren kann. Da die meisten Leute auf dem Land nicht Auto fahren können und geschweige denn ein Auto vermögen, sind die meisten auf Minibusse angewiesen, die unregelmässig (und selbstverständlich immer überladen) auf den Landeshauptstrassen verkehren. Mpanshya ist nur 200 km östlich der Hauptstadt gelegen und gehört noch zur Provinz Lusaka, doch schon von hier ist die Reise nach Lusaka eine Herausforderung. Die Fahrt nach Lusaka dauert mit dem Privatauto mindestens 2.5 Stunden, mit dem Bus mindestens 4 Stunden.
Kleines Mädchen mit einem etwas zu grossen Velo

Und wie ist es erst dann, wenn man 1000 km entfernt ist? Und da die Menschen in zerstreut liegenden Hütten wohnen, haben sie oft weite Fusswege zu gehen bis sie überhaupt an eine geteerte Strasse kommen. Die Haushälterin unserer Zimmernachbarn wohnt 6 km entfernt und kommt jeden Tag zu Fuss zur Arbeit. Am Morgen und am Abend sieht man sehr viele Leute die Strassen entlang zur Arbeit gehen, gerade in Lusaka bietet sich ein eindrückliches Bild von hunderten von Menschen zu Fuss auf der Strasse.
4 Jungs auf dem Weg zur Schule

Wenn man aufs Land fährt, sieht man viele Bäume, Buschlandschaft und ab und zu kleine Hütten und Verkaufsstände und sonst nichts, und zwar wirklich nichts. Also keine Industrie, keine Dienstleistungsstellen und somit keine Arbeitsstellen! Deshalb ist auch der grösste Teil der Menschen auf dem Land arbeitslos und pflanzt in der Regensaison (Dezember bis April) Mais zur Selbstversorgung an. Frauen verkaufen tagsüber Tomaten und Zwiebeln auf dem Markt oder Mangos an der Strasse. Beliebt sind Anstellungen als Haushälterin oder Gärtner bei Musungus (weissen Leuten), da sie ein sicheres Einkommen und meist gute Arbeitsbedingungen garantieren.


Und leider hat in den letzten Jahren die Qualität des Bildungssystems abgenommen. Die Landessprache wäre Englisch, weil es in Sambia dutzende verschiedene lokale Sprachen gibt. Doch auf dem Land sprechen die meisten nur eine Lokalsprache. Kaum jemand schliesst die Schule ab und viele sind Analphabeten. Probleme in der Schule sind riesige Klassen (gut mal 80 Schüler), abwesende Lehrer, die trotzdem bezahlt werden (sogenannte Ghostteachers), zu weite Entfernung zur Schule oder Mädchen, die während ihrer Monatsblutung ohne Hygienebinden nicht zur Schule können. Wer etwas Geld verdient und Wert auf Bildung legt, versucht seine Kinder in die Privatschule zu schicken. In der Schule wird allgemein vieles auswendig gelernt, ohne dass die Kinder verstehen, um was geht. Eine Angestellte der deutschen Entwicklungshilfe hat uns über ihre Schulevaluationen berichtet. Z.B. konnten die Kinder bekannte Wörter wie „cat“ erkennen, aber Phantasiewörter konnten sie nicht lesen!  Auch Rechnen ist ein grosses Problem. Die Kinder lernen zwar die Zahlenreihen auswendig, haben aber keine Vorstellung vom Zahlenraum. Z.B. mussten in der vorher erwähnten Schulevaluation Zahlenfolgen ergänzt werden. Folgen wie 3-6-9-… konnten viele problemlos mit 12 richtig beantworten, doch eine Folge wie 4-7-10-… ging nicht mehr. Leider haben sie oft kein Verständnis für Zahlen, das Zehnersystem und somit auch nicht für Dimensionen. Ist nun etwas 10- oder 100-fach grösser?
Lesen und Schreiben können auf dem Land nur wenige

Wir unterrichten jede Woche ein paar Frauen in Englisch und Rechnen. Und wir konnten es fast nicht glauben, aber erwachsene Frauen sassen ratlos vor „einfachen“ Rechnungen wie 13-12 oder 16-6!
Dass ihre geratenen Antworten wie 18 unmöglich waren, weil die Lösung ja kleiner sein musste als der Ausgangswert bemerkten sie nicht! Was natürlich den Umgang mit Geld im Alltag und die Vorstellung von Ersparnissen, Ausgaben und Schulden sehr erschwert! Wir wollten einmal 3 Flaschen Wasser kaufen für je 5 Kwacha. Das Rückgeld auf eine 20-Kwacha-Note war mehr als 10 Kwacha und beim erneuten Hinstrecken des Geldes war der Verkäufer total verwirrt!
Ganz einfache Kinderbüchlein sind oft schon zu komplizierter Lesestoff

Das traurige ist, dass Mangelernährung in der Kindheit eine grosse Auswirkung auf die Hirnentwicklung und -reifung hat und so viele hier wahrscheinlich nie ihre mögliche „Intelligenz“ erreichen.
In der Schule werden die Kinder auch nicht ermutigt, Fragen zu stellen oder zu melden, dass sie nicht verstanden hätten. Und von Beibringen von kritischem Denken oder Selbstreflektion kann man nur träumen.


Sambier sind sehr friedliche und angepasste Menschen. Das mag zwar als Tourist sehr angenehm sein, bereitet aber auch grosse Probleme. Die Familien- und Gruppenzugehörigkeit (in Sambia gibt es verschiedene Stämme) ist sehr wichtig, man lebt in Grossfamilien oft auf engem Raum. Und Identitätsstiftend ist nicht das Ich, sondern die Familienzugehörigkeit. Hierarchie ist sehr wichtig und es ist nicht angebracht, einen Vorgesetzten zu kritisieren oder zu hinterfragen! Das führt dazu, dass Missstände z.B. in einer Verwaltung, an der Arbeitsstelle und in der Politik oft stillschweigend hingenommen werden. Es zählt der Rang einer Person und nicht mehr dessen Leistung. Dass in einem solchen System der Fortschritt extrem erschwert ist und ein Boden für Korruption geboten wird, ist für uns natürlich logisch. Als föderalistisch denkende, konstruktive Kritik liebende Schweizer fehlt uns da das Verständnis dafür.

Sambia ist zwar eine Demokratie, doch die Idee des aufgeklärten, mündigen Bürgers wagen wir hier in Frage zu stellen. Wie sollen denn die Menschen  zu aufgeklärten Bürgern werden? Sie haben auf dem Land keine Zeitung, kein Internet, sie können ja nicht mal lesen und es fehlt unserer Meinung nach das nötige kritische, hinterfragende Denksystem. Und da die Leute sich über ihre Gruppenangehörigkeit identifizieren, wird meistens der Kandidat aus dem eigenen Stamm gewählt. Da man der Familie gegenüber auch stark verpflichtet ist, wird von Politikern erwartet, dass sie ihre Ursprungsregionen und Familien begünstigen, sonst verliert der Politiker seine Basis und Berechtigung überhaupt an dieser Stelle zu sein. Das was bei uns so negativ Vetternwirtschaft genannt wird, ist hier nicht ungewohnt. 
Dieses Bild hängt in jedem Kaufhaus, in jeder Kirche und in jedem grösseren Gebäude